Abschied von meinem alten Leben. Abschied von der Welt da draußen. Abschied von meinen Haaren. Vom Unversehrt sein, vom Heil sein. Abschied vom Ganz sein. Abschied.
Es geht los. Ich bin zurück im Krankenhaus.
Auch dieses Mal, wenn ich es schreibe, spüre ich ein Ziehen in meiner rechten Halsseite, spüre ich Übelkeit. Auch das wohl ein Trauma, eine Narbe. Eine Erinnerung.
Der Venenzugang wurde an der Halsvene angeschlossen. Hält länger und ist praktikabler als am Arm oder Handgelenk. Port nennt man das.
Port. Hafen. Eigentlich ein schönes Wort. Doch damals, anders. Ein Hafen, ein Zugang zu meinem Körper. Ein Zugang für die Chemotherapeutika. Für die Schmerzmittel. Für die Antibiotika. Für die Kochsalzlösungen. Für die Stammzellen. Ein Zugang für etwas, dass meine Zellen zerstören sollte. Meine entarteten Zellen. Die Zellen, die da irgendwie nicht rein passten. Die mutiert waren. RUNX-1 Mutation.
AML mit t(8;21)(q22;q22);RUNX1-RUNX1T1 (M2).
Chromosom 21. Ein Gen. Ein Defekt. Eine Mutation. Irgendwas war da kaputt gegangen. Falsch wieder repariert worden vom Körper. Passte nicht mehr rein. Und es musste weg.
Und heiles, gesundes musste wieder rein. Ein schöner Gedanke. Doch damals, still akzeptiert. Hingenommen.
Das Gefühl beim Legen des Ports. Schmerz. Luftnot. Tränen. Ausgeliefertsein. Offen sein. Mein Körper, offen. Meine Seele, offen. Schutzlos.
Heute überkommt mich noch ein Schaudern, ein Gefühl des Abschütteln wollens, des Windens, wenn mich dort jemand anfasst. In der Physiotherapie, der Osteopathie, der Massage. Niemand soll mehr so weit hinein, ein Schutz.
Damals, mein Hals der Zugang, der Hafen. Die Chemo begann. Das Medikament konnte fließen. In mich hinein.
Ich, eigentlich immer so stark. Immer so wehrhaft. Oft dagegen. Oft Konfrontation. Jetzt, stilles Erdulden. Ertragen.
Der Versuch, die Chemo als heilsam anzusehen. Als mein Helfer, mein Retter. Er ist mir geglückt. Lange Zeit. Die Vorstellung, die Medikamente räumen auf im Körper. Machen das Böse weg. Sie half mir. Half mir zu er – tragen.
Die ersten Tagen nahmen ihren Lauf.
Viele Erinnerungen. Aber auch viel Verschwommenes.
Eine klare Erinnerung: Ich stehe am Fenster meines Zimmers. Ich höre „Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann“ von den Beginnern. Ganz laut. Ich beginne zu tanzen. Tanze in die Zukunft. Weiß, dass es irgendwann auch wieder vorbei sein wird. Dass ich es schaffen werde, irgendwie. Dass irgendwo das Gute ist, wartet.
Aus meinen Haaren machen wir uns einen Spaß. Wir. Mein damaliger Freund und ich. Ich will nicht sehen, nicht fühlen, wie sie in Büscheln ausfallen. Will das was kommt vorwegnehmen. Will das Traurige in Absurdes verwandeln.
Ich schneide sie ab. Lasse sie abschneiden. Die Mutter meines Freundes kommt mit Haarscheren und schneidet mir einen Bob. Kinnlang. Schick denke ich noch und wünsche mir, dass es so bleibt.
3 Tage später sind sie da. Die ersten Büschel. Also bringt mein Freund seinen Rasierer mit. Ich will noch ganz viele Frisuren ausprobieren, denke ich. Eine Seite kurz eine lang, bisschen Vokuhila, bisschen Punk. Aber es gelingt mir kaum. Ich stehe vorm Spiegel im Badezimmer des Krankenhauses. Graue Kacheln, Desinfektionsmittel-Geruch. Eine Seite ist nun lang und eine kurz. Lustig. Könnte es sein. Aber ich weine. Weine um meine Haare. Aber eigentlich um mich. Um mein Leben.
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