21.03.2011. Ich bin raus. Bin frei. Für eine Weile.
Ich darf warten. Auf mehr Chemotherapie. Vielleicht auf eine Stammzelltransplantation.
Was macht man in so einer Zeit? Ich weiß es nicht.
Ich bin Tretboot gefahren. Bin spazieren gegangen. Habe meinen Geburtstag gefeiert. Habe meine Magisterarbeit fertig geschrieben. Habe mit meinem Freund eine Wohnung gesucht. Bin aus meiner WG ausgezogen, bin mit meinem Freund zusammengezogen. Habe den 90. Geburtstag meiner Oma gefeiert. Habe eine neue Wohnung eingerichtet. Habe Anträge gestellt. Meinen Sport gekündigt, den HVV gekündigt. Das vorbereitet, was kommen würde. Ich habe gelacht und geweint.
Ganz schön viel. Denke ich gerade. Mir ging es gut.
Ich habe jeden Tag dreimal 400mg Aciclovir geschluckt. Was macht ein Virustatikum über einen so langen Zeitraum eingenommen? Ich weiß es nicht.
Vielleicht ein Puzzleteil dessen was heute ist.
Am Ende waren es sieben Wochen. Sieben Wochen im Frühjahr 2011. Sieben Wochen mit schönen Erinnerungen. Sieben fast unbeschwerte Wochen. Sieben letzte Wochen. Bevor alles anders wurde. Bevor es nie mehr so wurde, wie es einmal war. Irgendwie war das vielleicht mein Abschied. Ohne dass ich es wusste. Ohne dass ich es ahnte. Noch einmal normal sein. Noch einmal so sein wie andere. Ein bisschen. Sieben Wochen. Viele Erinnerungen.
Ich fahre mit meinem damaligen Freund Tretboot auf der Alster. Es ist Frühling, die Sonne scheint. Ich habe einen geblümten Turban auf dem Kopf. Sieht gar nicht so schlecht aus. Die Vögel zwitschern. Wir lachen. Wir freuen uns. Es ist schön. Es geht mir gut.
Mein Geburtstag. Ich werde 27 Jahre alt. Ich habe meine Freundinnen eingeladen. Wir sitzen an einer Tafel bei meiner Mutter in der Küche. Es gibt Kuchen und Geschenke. Irgendwie ist alles so normal. Ich freue mich. Ich bin glücklich.
Meine Magisterarbeit. Ich schreibe weiter, versuche sie fertig zu bekommen. Meine Freundin Hannah liest Korrektur. Sie schreibt fertig, was ich nicht mehr schreiben kann. Sie macht es rund. Macht es so, dass ich sie abgeben kann. Nicht so, wie es geplant war. Nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Aber es ist ok. Was bedeutet eine Abschlussarbeit wenn man Leukämie hat? Für mich damals fast zu viel.
Ein Sommerfest. Es ist Ende April. Aber es fühlt sich an wie Sommer. Meine Familie ist da. Meine engsten Freunde sind da. Sie machen Musik. Live. Für mich. Wir lachen, wir unterhalten uns. Ein Fest für mich. Noch einmal alle sehen. Noch einmal unbeschwertes Sein.
Der Geburtstag meiner Oma. Wir sind auf dem Weg Richtung Stade. Mein Freund und ich. Heute soll ich anrufen. Heute muss ich entscheiden. Weitere Chemozyklen. Zehn bis zwölf Stück. Ein Jahr lang. Mit Nebenwirkungen. Für den Körper. Für die Seele. Oder eine Stammzelltransplantation. Mit mehr Risiken. Dem Risiko zu sterben. An den Komplikationen. An den Folgen. Mit mehr Chance auf Heilung. Schneller, rabiater, vollständiger. Mit der Chance, die Leukämie für immer zu besiegen. Wir halten an einem Waldstück an. Laufen ein Stück hinein. Der Blick auf die angrenzenden Felder. Ich weiß was ich will. Weiß es tief in mir. Ich bin eine Kämpferin. Ich will es schaffen. Will dass es wieder vorbei ist. Dass ich weiter machen kann. Weiter leben kann. Will es ganz oder gar nicht. Stammzelltransplantation. Die Ärztin sagt: Eine gute Entscheidung.
Ich wusste nicht genau, was auf mich zukommt. Wusste nicht, wie es sein wird. Danach. Noch lange danach. Vielleicht für immer. Aber es war richtig. Es gab keine bessere Entscheidung. Nur eine Entscheidung. Ich würde es wieder so machen. Würde wieder die Chance auf langfristiges Überleben wählen. Ein Überleben mit Einbußen. Aber ein Leben.
Nach sieben Wochen. Geht es zurück. Geht es weiter. Habe ich Angst? Ein bisschen. Habe ich Widerstände? Ja. Habe ich Vertrauen? Ziemlich. Habe ich Mut? Ein bisschen weniger. Es ist jetzt Mai.
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